Virtuelles Lebenswerk von Heinrich Keßler, Appenweier
Kontext: Gedanken und Nachdenkliches

Ehrenwort.

Mein Leserbrief an die Mibapress vom 24.07.2000:

Zu: "Akte Kohl" wird geschlossen. Artikel vom 24.07.00

Sehr geehrte Damen und Heren,

wozu sind Untersuchungsausschuss, Staatsanwalt, politische Gegner und Presse noch bereit, um einen Menschen zu einem Bruch eines Ehrenwortes zu bringen, auch wenn er es in der Nachschau vielleicht nie hätte geben sollen. Es ist traurig, dass diese Jagd sich auf Gesetze berufen kann, die zu Zeitpunkten geschaffen wurden, als es noch nicht nötig war, die Einhaltung eines Ehrenwortes gesetzlich zu schützen.

Vertrauen und Beziehungen können sich nur entwickeln, wenn man sich aufeinander verlassen kann. Das gilt privat, politisch und gesellschaftlich. Hoffentlich lehnt der begünstigte Empfänger des Herrn Kohl angedrohten Bußgeldes dieses aus "moralischen Gründen" ab, weil es einem Judaslohn vergleichbar wäre, mit dem der Wert "Ehrenwort" verkauft würde: Wir Bürger wüssten unwiderruflich, dass niemand mehr ein gegebenes Ehrenwort zu halten bräuchte - und wir hätten auch das Recht verwirkt, uns auf gegebene Ehrenwörter (Wahlversprechen) zu berufen. Ich traue keinem der Jäger mehr zu, dass er selbst ein gegebenes Ehrenwort hielte. Oder Sie etwa?

Ein Bußgeld könnte auch wie ein Ablass für Herrn Kohl wirken. Dies kann nicht im Sinne derjenigen sein, die von Herrn Kohl während und nach seiner Amtszeit menschlich enttäuscht wurden. Die Pflicht zur Entschuldigung oder vielleicht sogar zur Versöhnung kann nicht erfüllt werden, so lange der öffentliche Lärm um letztendlich Banales im Verhältnis zum Gesamtzusammenhang anhält.

Die Themen werden immer lächerlicher, ich fürchte, die Art und Weise damit umzugehen auch. Inzwischen überschreitet der Schaden durch die Jäger den des Gejagten. Das heißt, es ist höchste Zeit, die Jagd zu beenden und alle Beteiligten wieder Sinnvolleres tun zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Keßler